Ein Sandstrand

Verblüfft über seine Frage sah sie ihn einen Moment lang an, bevor sie antwortete:
"Am liebsten sind mir die Seen und Meere. Räume sind nichts für mich"
Man kann aus ihnen schwer flüchten...

"Das kann ich verstehen. Für mich sind Räume auch nichts, sie sind so einengend..."
Er dachte kurz nach.
Wir haben mehr gemeinsam als ich dachte....
"Aber sag einmal, warum bist du ein Scherbenengel geworden? Welche Ursache hat es, dass deine Seele so auseinander gebrochen ist?"
Er wandte seinen Kopf zu Lilith und sah sie mitfühlend und aufmerksam an.

Das ist eine sehr persönliche Frage...
Lange sah sie ihn schweigend an, bevor sie begann zu sprechen. "Der Grund dafür liegt bei meinen Eltern. Ich bin die Tochter eines Wächterengels und eines Kriegerengels. Meine Mutter gehörte zur Elite, sie war nie für mich da, stets war sie beschäftigt. Mein Vater
war im Krieg. Er konnte nicht immer da sein. Aber...die Zeiten wenn er heimkehrte, waren die schönsten Momente meines Lebens.
Für ihn war ich der Grund zu kämpfen. Die Last des Alleinseins war durch ihn erträglich. Aber Kriegerengel sterben nuneinmal leicht. So auch er"
Sie schluckte den Kloß in ihrem Hals herunter bevor sie weitersprach. "Als er von einem Kriegszug nicht heimkehrte brach meine Welt in sich zusammen. Die Trauer drückte auf meine Seele, drohte sie zu zerbrechen. Und meine Mutter? Sie machte weiter, als wäre nie etwas gewesen.
Irgendwann zerbrach ich einfach. Man kann nicht immer stark sein"
Lilith blickte auf das Meer hinaus, ihre Augen glänzten von nicht vergossenen Tränen.

Luca war ein äußerst aufmerksamer Zuhörer und sah sie die ganze Zeit über an, während der Ausdruck auf seinem Gesicht eine Spur von Mitgefühl ausdrückte.
Als sie ihre Geschichte beendet hatte, wusste er zuerst nicht ganz, wie er reagieren sollte, immerhin kam es nicht häufig vor, dass ihm jemand so vertraute bzw. so offen war. Er war kein reiner Engel und die meisten hatten damit ein großes Problem, doch Lilith war ebenfalls kein reiner Engel, vielleicht funktionierte es deswegen, das Vertrauen und auch das Gespräch.
Als er das Glitzern ihrer Augen sah und das nur auf Tränen zurückschließen konnte, tat er etwas, womit er selbst kaum rechnete. Es war einfach sein Instinkt oder sein Herz, wie auch immer.
Er streckte seinen Arm aus und hielt vor ihr seine Handfläche offen. Sie brauchte sie nur zu nehmen.

Lilith wandte den Kopf und blickte überrascht auf die ausgestreckte Hand.
Nicht einmal, seit sie gefallen war, hatte ihr jemand seine Hand angeboten. Warum ausgerechnet er?
Er, dessen Vergangenheit von einem Scherbenengel zerstört worden war, er der ein Racheengel war.
Ausgerechnet er, schien als Einziger gewillt, ihr so etwas anzubieten.
Zögernd hob sie ihre schmale Hand und legte ihre Hand auf seine. Die Wärme die von seiner Haut ausging beruhigte sie,
stärkte sie auf unerklärliche Weise.

Genau dieses Vertrauen brauchte Luca ganz dringend, denn eigentlich war das Hand ausstrecken, diese kleine Geste nur eine Frage gewesen, auf die Lilith jetzt eine Antwort gegeben hatte. Er verstand sich selbst nicht, jedoch war es nicht das, was ihm sein Verstand sagte, sondern sein Herz und immerhin verbarg sich dieses irgendwo in seinem Körper.
Er zog sanft ihre Hand zu sich und schloss sie behutsam in seine Arme, legte seine muskulösen Arme um ihren Körper und verblieb so kurz für einige Momente, bevor er sie wieder vollkommen losließ und wieder die gewohnte Distanz zwischen ihnen war.
WAS MACHE ICH DA??????
Er sah in ihre Augen und nun kam wieder sein Verstand dran, der begann zu arbeiten.
"Verzeih mir, aber du...du hast mir so leid getan."
Luca versuchte irgendetwas positives aus dem zu ziehen, was er gerade getan hatte. Er hoffte inständig das Glitzern in ihren Augen wäre verschwunden und auch ihre Zerbrochenheit wäre für einen Moment weg gewesen, doch er befürchtete, dass es nicht so war.

Lilith zuckte überrascht zusammen, als er die Arme um sie schloss. Wann war sie zuletzt umarmt worden?
Ihre anfängliche Anspannung verschwand und sie ließ die Umarmung zu, genoss die Wärme. Beinahe war sie enttäuscht,
als er sie wieder losließ. Lilith! Hör auf sowas zu denken...du kennst doch nicht einmal
Aber dennoch tat er ihr gut...es war seltsam. "Schon gut...mich hat lange niemand mehr in den Arm genommen", sagte sie leise.
Sie sah ihn an, um ihre Mundwinkel spielte ein winziges Lächeln, nahezu unsichtbar.

Sie lächelte...ich sehe sie das erste mal lächeln. Es ist so wundersch....Ich sollte damit aufhören, sie ist und bleibt ein Scherbenengel, obwohl bleiben, vielleicht auch nicht...?!
"Das dachte ich mir", antwortete er ebenfalls mit sanfter Stimme, während er Sand in seine Hand nahm und ihn wieder durchrieseln ließ. Dabei fand er nach einiger Zeit eine Muschel. Sie war wie aus dem Bilderbuch, schneeweiß und abgerundet vom Wasser. Sie stand leicht offen, doch es war nichts mehr drinnen.
Er ließ sie in seiner Hand und spielte leicht damit herum, während er wieder nachdachte.
Nun hatte Luca eine Idee, doch er behielt sie für sich. Es würde schon der geeignete Moment kommen für seine Idee.
Doch schon gab es eine neue. Mit einem Lachen fragte er Lilith:" Ich weiß, dass kommt jetzt ein wenig überstürzt, aber hast du Lust schwimmen zu gehen? Ich meine das Wetter ist herrlich und am Morgen ist das Wasser immer besonders angenehm. Nur wenn du willst natürlich."
Er sah sich um. Die Sonne über dem Horizont wanderte weiter hinauf und tauchte die Landschaft in ein Orange, dass aber langsam zu einem vollen Tageslicht wurde.

Sein Angebot kam unerwartet, aber als sie auf die Wellen hinaus sah, beschloss sie es anzunehmen.
"Gerne, du hast Recht, das Wetter ist heute perfekt" Die Sonne tauchte alles in ihr goldenes Licht,
das funkelnde Wasser schien ihr überirdisch schön.
Was für ein wunderschöner Anblick...

"Okay, sehr gut", freute er sich und zog sich sein sowieso schon aufgeknöpftes Hemd aus und auch seine Jeans.
Dann lief er über den Strand in einem fast schon überirdisch schnellem Tempo und erreichte die Wellen, die heute nicht sehr hoch waren, sondern eher nur sanft vom Wind gestreichelt wurden. Luca machte als er schon ein bisschen weiter im Wasser war, einen Kopfsprung und tauchte im schon viel tieferen Wasser auf. Es war herrlich kühl und angenehm. Das Glitzern der Sonne verschönerte alles noch mehr. Er schwamm ein bisschen während er Lilith zusah.

Sie war rot geworden, als er sich ohne Zögern die Kleider abstreifte.
Sich seines Blickes nur zu bewusst, griff sie nach dem Saum ihres Netzhemdes und streifte es ab.
Ihre Jeans folgte und mit raschen Schritten war sie im Wasser und tauchte unter. Sie tauchte bis zu der Stelle an der
er schwamm, in der Nähe tauchte sie wieder auf und strich sich die nassen Strähnen ihres Haares aus dem Gesicht.

"Wusstest du, dass dein Gesicht echt...sch...hübsch ist?"
Fast wäre ihm das Wort schön rausgerutscht, doch er schwächte es ab, indem er hübsch sagte. Diese ganze rhetorische Frage war ihm eigentlich nur so rausgerutscht, doch irgendwie war er Lilith gegenüber so offen.
"Und wie gefällt es dir hier im kühlen Meer mit der aufgehenden Sonne im Gesicht, der erfrischenden Meerbrise und dem goldenen Glitzern auf der Wasseroberfläche?"
Er lächelte ein wenig zaghaft, aber es wurde größer, bis es strahlte.

Wollte er gerade schön sagen? Hübsch findet er es? Die Gedanken schwirrten in ihrem Kopf.
"Es ist traumhaft schön", erwiderte sie und drehte sich auf den Rücken um sich treiben zu lassen.
Die Sonne blendete ein wenig und sie kniff die Augen leicht zusammen, genoss aber dennoch die wärmenden Strahlen.

Achtung und jetzt komme ich...
Er tauchte unter und machte unter dem Wasser die Augen auf. Er tauchte zu Liliths Körper, nahm einer ihrer Hände und zog sie nach unten, sodass sie ebenfalls unter Wasser war.
Er prustete im Wasser und musste auftauchen, wo er dann anfing zu lachen und um Luft rang, weil er ein bisschen Wasser verschluckt hatte. Trotzdem musste er lachen, ohne es böse zu meinen.

Erschrocken schrie sie leicht auf, als sie nach unten gezogen wurde. Sie erkannte Luca, er schien zu lachen.
Durch den Schrei verschluckte sie sich und tauchte an die Oberfläche, wo sich bereits ein lachender Racheengel befand.
Sie zog eine Augenbraue hoch. Na warte....Sie holte tief Luft und verschwand wieder unter Wasser. Dort packte sie einen
der Füße von Luca und zog ihn hinab in die Tiefe.

Luca war ebenfalls erschrocken, denn er rechnete nicht auch hinunter gezogen zu werden. Er verschluckte sich aber nicht, sondern öffnete wieder seine Augen und war für einen Moment Liliths Gesicht gefährlich nah, denn unter Wasser bekam man das ja nicht so genau mit. Für eine Sekunde verharrte er und tauchte sofort wieder auf. Oben angekommen wartete er darauf bis sie auftauchte um sie dann abzuspritzen aus "Rache". Er musste ja seinem Titel alle Ehre machen.

Unter Wasser war er ihr plötzlich nahe, tauchte dann aber auf. Sie schluckte und folgte ihm.
An der Oberfläche nahm er sie sofort mit spritzendem Wasser in Empfang und sie attackierte zurück.
Mitten in der Wasserschlacht zuckte ein kurzer Schmerz durch ihren Kopf und sie verlor die Kontrolle, dagegen konnte sie nichts machen.
Zu Lucas Glück war es nicht Diana-die ihn sofort abgemurkst hätte-sondern Lucy, das kleine Mädchen, die ihn nun aus neugierigen Kulleraugen betrachtete.

Zuerst erschreckte sich Luca fürchterlich, als sie plötzlich schien unterzugehen, doch schnell begriff er, was passiert war und hoffte dabei inständig, er müsse jetzt nicht Diana gegenüber treten, denn momentan hatte er darauf überhaupt keine Lust, nicht dass er Angst hätte, aber er war gerade so gut drauf.
An den plötzlich veränderten Augen, die nicht mehr so sensibel und erwachsen wirkten, sondern eher kindlich, glasig und diese Spur von Neugierde, die jedes Kind in den Augen trug.
Ihm wurde sofort klar, dass das nur Lucy sein konnte.
"Hallo Lucy, möchtest du bei der kleinen Wasserschlacht mitmachen?" fragte er mit sanfter und freundlicher Stimme, die aber weder künstlich noch aufgesetzt wirkte, sondern ehrlich. Er war sich sicher, dass würde Lucy auch merken, denn kleinere Kinder hatten für ehrliche Gefühle ein Gespür.

Lucy sah ihn aufmerksam an, dann erhellte ein strahlendes Lächeln ihre Züge. "Gerne", lachte sie.
"Lily mag dich", teilte sie ihm mit, so ehrlich wie es nur Kinder tun konnten.
"Ich wollte wissen wer du bist, aber sie hat Recht, du bist nett" Sie schmiss ihm eine Ladung Wasser entgegen.

Er prustete als die unerwartete Wasserladung in seinem Gesicht landete und spritzte sie auch voll.
Dann aber antwortete er und es herrschte kurz Frieden.
"Danke, aber du bist auch nett. Sag einmal, ihr kennt euch doch alle untereinander, also ich meine die verschiedenen Persönlichkeiten. Kriegt ihr eigentlich mit, was der andere an der Oberfläche macht bzw. will manchmal jemand anderer wieder raus?"
Luca wollte Scherbenengel besser verstehen. Im Moment beschäftigte er sich nicht so sehr mit der Feststellung von Lucy, dass Lilith ihn nett fand, denn in seinem tiefen Inneren war für ihn schon einiges klar, doch sein Verstand war noch vollkommen konfus und ziemlich verwirrt.
Es fiel ihm noch eine Frage ein, aber die würde er dann stellen.

Sie sah ihn mit ihren Kulleraugen an. "Klar, kriegen wir das mit! Wir kriegen alles mit was passiert, aber halt von da drinnen" Sie zeigte auf ihre Brust. "Natürlich will jemand anderes raus, was meinst du wieso ich hier bin? Ich habe die Wasserschlacht mitgekriegt und fand das lustig, also habe ich die Kontrolle übernommen" Lucy sah ein wenig traurig aus "Aber Lily mag das nicht, deshalb mache ich das nicht oft"

"Ach, Lucy", sagte er lachend "also von mir aus, kannst du ruhig öfter vorbeikommen. Du bist echt ein tolle Spielkameradin. Lilith wird schon ein Auge zudrücken."
Er lachte und wusste, dass das für ein Kind ein tolles Kompliment war.
"Sorry, ich weiß meine Fragen sind ein wenig nervig, aber es ist einfach so interessant. Wer ist denn bei euch der bzw. die Dominanteste, denn am öftesten ist es ja Lilith, die an der "Oberfläche" ist. Versteht ihr euch eigentlich alle untereinander oder gibt es da auch Probleme also ich meine Innen?"
Er wirkte wirklich neugierig.

Lucy lachte ihn erfreut an, als er ihr dieses Kompliment machte. Dann runzelte sie die Stirn, als sie angestrengt über seine Fragen nachdachte.
"Also Lily hat meistens die Kontrolle, aber im Inneren ist Kyle der Anführer. Er hat ein Auge auf uns, er ist sowas wie unser Vater. Die da drinnen sind eigentlich alle okay" Sie schnaubte leicht "Außer Diana, die ist so eiskalt und will nie spielen. Rose weint immer, aber wenigstens ist sie lieb"

"Rose und Diana durfte ich beide noch nicht kennenlernen, aber ich vermutete fast, dass du und Diana, naja nicht so gut miteinander klarkommen, denn ihr seid ziemlich unterschiedlich oder?"
Er überlegte kurz.
Ja, das ergäbe einen Sinn. Kyle ist der "Persönlichkeitenvater" und sorgt für Ordnung, doch die einzige Frage, die ich mir noch stelle, was ist so tragisches passiert damals, als sich die Persönlichkeiten abgespalten haben? Schon klar, bei Lilith war es die Einsamkeit, aber bei den anderen? Was war es wohl bei Lucy, warum ist sie schon so früh noch in ihrer Kindheit abgespalten worden?
Er stellte die Frage einfach, freundlich und ohne Umschweife:" Sag, eine Frage hätte ich noch, ich verspreche dir, es ist auch die letzte, denn dann müssen wir ja wieder ein bisschen spielen, welches Problem war es, dass dich abspalten ließ?" Er wusste es nicht besser zu formulieren, doch Kinder verstanden schnell.

(kleiner Zusatz vornedran: Also die Persönlichkeiten gehören alle zu Liliths Seele, das bedeutet, dass Lucy sich aus der Seele abgespalten hat, als Lilith so alt war wie Lucy ist...wenn also Lucy z.B. von "ihrem Vater" oder "ihrer Vergangenheit" redet, meint sie damit denn Vater und die Vergangenheit von Lilith, weil sie alle ein Teil von Lilith sind...wollte ich nur erwähnen^^)

Lucys große Augen fixierten ihn "Ich durfte nie spielen. Ich musste immer artig sein, gerade sitzen und mich benehmen. 'Weil es sich so gehört' hat Mama gesagt. Wenn ich laut gelacht habe, hat sie mich in mein Zimmer geschickt, weil sich das für eine junge Lady nicht ziemt. Lachen war verboten. Spielen war verboten"